Geschwisterfolge prägt

Die Geschwisterfolge können wir uns nicht aussuchen, die Familie auch nicht. In welchem Land und in welcher Kultur man geboren wird, auch nicht. Ebenso, in welcher Familie man aufwächst, in welcher Position der Geschwisterfolge oder als Einzelkind. Es ist eine Gegebenheit, die einen lebenslang prägen und begleiten wird.

Die Familienkonstellationen können immer wieder für Konflikte sorgen. Das bezeugen bereits zahlreiche Berichte aus der Antike, genauso wie die Regenbogenpresse unserer Tage, bei denen die Promis im Fokus stehen. Je nach Anzahl, dem Altersabstand und dem Geschlecht der Kinder, wird sich das Familienleben in ganz verschiedener Weise entwickeln. Besonders prägend können sich auch schwere Krankheiten oder Behinderungen von Kindern auswirken.

Lässt man außergewöhnliche, besondere Einflussfaktoren einmal weg, ergibt sich ein Bild, welches man in vielen Familien in ähnlicher Weise vorfindet und das bereits Gegenstand vieler Studien wurde.

Erstgeborene – die ungekrönten Prinzen

Die Ankunft des ersten Kindes verändert eine Familie ganz wesentlich. Waren sie bisher ein Paar, das in ihrer Verliebtheit noch alle Freiheiten genießen konnte, so ändert sich durch das erste Kind nicht nur der Hormonhaushalt der Frau sondern der gesamte Lebensrhythmus. Das Baby ist in der Regel der Familienmittelpunkt und sogar der Vater  erhält nun eine neue Position. Er ist nicht mehr der ungeteilte Liebhaber der Frau, sondern muss die Liebe der Frau mit dem neuen Familienmitglied teilen. Durch den kleinen Sonnenschein der Familie wird ihm der neue Platz erleichtert, doch gelegentlich kommt es auch zu Reibungspunkten.

Das Baby ist Prinz oder Prinzessin und erhält die volle Zuneigung und Liebe beider Eltern. Erstgeborene sind daher meist in ihrer sprachlichen und geistigen Entwicklung bevorzugt. Jeder kleinste Entwicklungsschritt des Babys wird fotografiert oder auf Video festgehalten. Die Fotos werden sorgfältig in Alben geklebt und mit Texten versehen. Viele Familien gehen sogar ins Fotostudio, um zusätzlich professionelle Aufnahmen der jungen Familie machen zu lassen. Eltern und Verwandtschaft greifen tief in die Tasche, um ihrer Freude über den Nachwuchs auszudrücken. So füllt sich das Kinderzimmer und der Besitz des neuen Erdenbürgers wächst schnell an. Hygienestandards sind in unserem Kulturkreis beim ersten Kind meist besonders hoch. Fällt der Schnuller auf den Boden, wird er sofort gegen einen sterilen ausgetauscht.

Das zweite Kind und der entthronte Prinz

Wächst die Familie durch die Geburt eines zweiten Kindes, dann ist das erste Kind das „Älteste“. Trotzdem wird es für das bisher verwöhnte Einzelkind einige dramatische Veränderungen geben. Es wird durch das zweite Kind „entthront“ und das kann für manche sehr schmerzlich sein und lebenslang Spuren hinterlassen. Auch wenn die Eltern das Kind behutsam auf das Geschwisterchen vorbereiten, von jetzt ab heißt es teilen und vor allem seinen Besitz gegen einen Rivalen zu verteidigen. Das wird nicht ohne Kämpfe abgehen und so manche Erstgeborene reagieren durch einnässen und andere plötzlich auftretende Schwierigkeiten. Die Eltern stehen ab jetzt immer unter Beobachtung, wie ausgleichend oder parteiisch sie sich im Streitfall verhalten. Einer wird sich immer benachteiligt fühlen.

Beim zweiten Kind haben die Eltern schon etwas Routine im Umgang mit Babys und gehen schon etwas lockerer mit den Herausforderungen um. Fotografiert wird etwas weniger als beim ersten Kind. Wenn der Schnuller auf den Boden fällt wird er kurz abgespült und dem Baby wieder in den Mund gesteckt.

Die Entthronung kann beim ältesten Kind zu einem konservativen Charakterzug führen, der ausdrückt, es hätte am besten alles so bleiben sollen, wie es war. Dafür entwickelt es gute Führungseigenschaften, da es von klein auf dazu trainiert wird. Das zweite Kind entwickelt sehr früh Fähigkeiten, sich gegen das, in vielen Aspekten, übermächtige, älteste Geschwisterchen in Szene zu setzen und mit Charme die Aufmerksamkeit der Erwachsenen auf sich zu ziehen. Es beobachtet gut und ahmt vieles nach, um das ältere Kind möglichst schnell einzuholen.

Problematisch kann es werden, wenn sich die Eltern zu sehr in die Revierkämpfe hineinziehen lassen, weil die Kinder sehr schnell erkennen, wie Papi und Mami manipulierbar sind, damit man sie auf die eigene Seite ziehen kann. Diese Fähigkeiten werden sie dann bis zur Meisterschaft betreiben und die Eltern manchmal an den Rand des Nervenzusammenbruches bringen.

Wenn die Kinder einen Schiedsspruch einfordern, geht es ihnen meist nicht um Gerechtigkeit sondern darum, wen von beiden Mutti oder Papi mehr liebt. Diesen Test kann man nur verlieren, wenn man sich darauf einlässt. Oft bilden sich dann zwei Parteien: Die Mutter mit dem Älteren gegen den Vater mit dem Jüngeren oder andersherum.

Die Karten werden neu gemischt

Kommt zu den zwei Kindern noch ein drittes hinzu, wiederholt sich die Entthronung unter einem neuen Aspekt. Das älteste Kind bleibt das Älteste, aber das Jüngste bekommt durch das dritte Konkurrenz. Mittlerweile haben die Eltern Routine in der Kinderbetreuung und manches wird lockerer gesehen. Wenn der Schnuller in den Schmutz fällt, wird er kurz abgewischt und dem Baby wieder reingesteckt. Nach Hunderten von Kinderfotos, die noch nicht einsortiert sind, werden die Eltern etwas fotografiermüde. Fotos gibt es vom dritten Kind meist nur mehr von den Familienfeiern.

Wenn das dritte Kind das Jüngste bleibt und eventuell der Abstand zu den beiden Älteren etwas größer ist, hat es gute Chancen, als Nesthäkchen verwöhnt zu werden. Gegen Angriffe der eifersüchtigen, älteren Geschwister springt ein Elternteil in die Presche und das mögen die älteren Geschwister gar nicht gerne. Das Ältere wird auf seinen Ältestenbonus pochen und das mittlere neue Strategien entwickeln, die Liebe der Eltern zu entfachen oder herauszufordern.

Jedes Kind wird seinen eigenen Weg suchen, die Liebe der Eltern zu erringen. Für Eltern ist es eine große Aufgabe trotz der eigenen zeitweiligen Überforderung auf die Bedürfnisse ihrer Kinder individuell einzugehen. Denn jedes Kind hat eigene besondere Bedürfnisse und die Sehnsucht nach der Liebe der Eltern. Für Alleinerziehende ist das eine besondere Herausforderung, weil die gesamte Belastung auf ihnen liegt.

Eltern haben nur einen begrenzten Einfluss auf die Entwicklung ihres Kindes und selbst wenn innerhalb einer Familie drei Kinder gleich behandelt werden würden, so würde doch jedes der Kinder eine andere Entwicklung haben. Die Geschwisterfolge prägt jedes Kind. Auch wenn Eltern ihr Bestes geben, wird nicht alles optimal für das Kind laufen. Doch gerade schwierige Situationen haben das Potenzial unsere Kinder stark und widerstandsfähig für spätere Krisen zu machen. Der Mensch ist lebenslang lernfähig und kann sich verändern. Was unsere Kinder aus dem machen, was sie aus ihrer Kindheit mitgenommen haben, ist dann ihr eigener Schatz an Erfahrung und ihre eigene Verantwortung.

Helmut Malzner, Diplom Lebens- und Sozialberater, Supervisor, www.coachingteam.info

Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift Ehe und Familien Bausteine Nr. 99. Sie können diese Zeitschrift kostenlos als pdf-Datei bekommen, wenn Sie sich beim Newsletter anmelden.

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