Sensibilität – Begabung oder Last
Menschen mit besonderer Sensibilität haben es im Leben schwer. Oft hören sie den Satz: „Sei nicht so empfindlich“. Ich gehöre zu diesen Menschen. Vor einigen Jahren wurde mir empfohlen das Buch „Lastentragen – die verkannte Gabe“ zu lesen. Relativ rasch erkannte ich, dass vieles auf mich zutraf. Der Inhalt dieses Buches zeigte mir auf, warum ich oft so erschöpft, ausgelaugt und oft krank war. Oft dachte ich, dass etwas mit mir nicht in Ordnung sei. Bereits beim Durchlesen des Buches lernte ich, dass ich eine besondere Gabe habe, und gleichzeitig spürte ich, dass ich mich annehmen darf, wie ich bin, jedoch einiges in meinem Leben, mit Gottes Hilfe verändern durfte, sodass diese Gabe mir nun keine Last mehr ist, sondern ich dankbar dafür bin. Allerdings habe ich gelernt achtsamer mit mir umzugehen, meine Bedürfnisse zu erkennen, damit ich meinen emotionalen Tank nicht leere bzw. mein Körper mir meine Grenzen nicht aufzeigen muss.
Der Begriff „sensibel“ kommt ursprünglich aus dem Lateinischen („sensibiles“) und bedeutet mit Sinnen, Empfindung und Wahrnehmung, verbunden also auf den Menschen bezogen „der Empfindung fähig“. Sensibilität wird jedoch in unserer heutigen Gesellschaft eher negativ besetzt.
Einen hochsensiblen Menschen zeichnet aus: Feinfühligkeit, Empfindsamkeit, einfühlsame Kommunikation, Wahrnehmung von Stimmungen und Gedanken, gute Beobachtungfähigkeit, die auf das Wesentliche gerichtet ist …
Grundlage für diese Sensibilität ist eine bestimmte neurologische Beschaffenheit des Gehirns. Das empfindsame Nervensystem nimmt Außenimpulse viel stärker wahr (z.B.: Geräusche, Gefühle, Stimmungen …) und dadurch leiden und reagieren hochsensible Personen (HSP) oft intensiver, da sie einer ständigen Reizüberflutung ausgesetzt sind, und daraus resultiert, dass sie schneller ausgelaugt, überfordert und gestresst sind.
Hochsensibilität entwickelt sich je nach Lebensgeschichte häufig erst zum Potenzial, wenn sie erkannt, durchschaut, akzeptiert, verfeinert, kultiviert und integriert wird. Dabei handelt es sich oft um eine lebenslange Anforderung an die persönliche Achtsamkeit.
Oft schränken diese Personen ihre Gabe ein, da vielen vorgeworfen wird, sie lassen sich zu stark von ihren Gefühlen leiten. Interessant ist, dass Hochsensibilität zu gleichen Teilen unter den Geschlechtern verbreitet ist, allerdings Männer verbergen sie meist, da ihre hohe Sensibilität als unmännlich empfunden wird. Da Männer oft bereits in der Kindheit viel mehr Unverständnis und Ablehnung bzgl. dieser Gabe erfahren, legen sie sich oftmals eine „harte Schale“ zu und verlieren häufig die Identität durch diese innere Zerrissenheit.
Da diese Gabe bereits in die Wiege gelegt ist, liegt es an uns Eltern diese Gabe bei Kindern zu erkennen, sie zu schätzen, die Kinder zu stärken und bestärken, in dem wir ihnen einen Rahmen bieten, wo sie sich erholen können und zur Ruhe kommen, da bereits diese Kinder sehr viel Verantwortung übernehmen für jegliche Nöte und Stimmungen.
Viele hochsensible Menschen lassen es schwer zu, dass ihnen gedient wird, da sie gelernt haben ihre Bedürfnisse zurückzustellen. Sie lieben einerseits die Rolle des „Retters“, „Kümmerers“, da sie Angst haben ihre gewonnene Identität zu verlieren auch wenn sie andererseits den hohen Preis eines anstrengenden Lebens bezahlen müssen. Jedoch ist diese Haltung oftmals auch für das Umfeld anstrengend, da HSP oftmals über ihre Grenzen gehen, dadurch unbewusst in die „Opferrolle“ (z.B.: Krankheit) fallen und dies wiederum führt dazu, dass das Umfeld eine negative Einstellung zu HSP bekommt.
Jedoch müssen diese Personen nicht in dieser Rolle bleiben, sondern sie können ihr Leben im Alltag entsprechend verändern, damit sie erkennen, dass sie eine besondere Gabe haben, aber die Gabe sie nicht im Griff hat, sondern lernen damit umzugehen. Allerdings bedarf dies ein gewisses Maß an Disziplin, Wachsamkeit und Veränderung des gewohnten Lebensstiles.
Wie kann diese Veränderung praktisch aussehen:
Mut zum nein-sagen, Krafttankstellen suchen und ausreichend Schlaf. Emotional anstrengende Tage und neue Situationen können große Herausforderungen sein. Da ist Stressmanagement wichtig, damit der Körper die erforderlichen Ruhepausen bekommt. Wie das konkret am besten möglich ist, muss die betroffene Person für sich selber herausfinden.
Bei mir ist es ein Spaziergang, ruhige Musik, ein lustiger Film, Gitarre spielen, singen, Zeit mit Gott im Gebet verbringen oder einfach ein ruhiger Platz am Wasser in der Natur oder am Balkon.
Jesus war uns in dieser Hinsicht ein großes Vorbild. Er zog sich zurück, um im Gebet Kraft zu tanken. Wenn Jesus es nötig hatte „Krafttankstellen“ zu suchen, wie viel mehr erst wir.
Die Autorin, Renate Kloß ist Kindergartenpädagogin und leidenschaftliche Hausfrau und Mutter
Quelle: Lastentragen – die verkannte Gabe, Christa und Dirk Lüling, ISBN 978-3-935703-87-1
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