Ich bin gerne Lehrer
Markus ist gerne Lehrer. Als Sonderpädagoge ist er Klassenvorstand einer Klasse an einer NMS (Neue Mittelschule). Er betreut eine Integrationsklasse mit 25 sehr unterschiedlichen „Beinahe-Teenagern“. Diese Aufgabe ist für ihn aufregend und herausfordernd. Er gibt uns einen kleinen Einblick in seinen spannenden Alltag.
Wir erleben Momente, in denen Lernen richtig „genial“ sein kann. Neben dem ganz „normalem Unterrichtalltag“, haben wir immer wieder sehr offene Gespräche über Gott und die Welt, und Fragen zu physikalischen Themen in Hülle und Fülle. Wir erleben einen Outdoor-Schultag mit Unterricht im Freien zwischen Wald und Bach und kochen uns das Mittagessen am Feuer. Oder es passiert persönliches „Über-sich-Hinauswachsen“ bei unserem Sozialprojekt „Vom Leben lernen“, bei dem Schülerinnen und Schüler in sozialen Einrichtungen im Rahmen vom Unterrichtsfach „Soziales Lernen“ mitarbeiten.
Es geschieht Versöhnung nach einem Streit, Verständnis nach Zorn. Dann präsentiert jemand eine PowerPoint-Präsentation, dass wir alle nur so staunen vor Begeisterung. Es schafft jemand endlich eine positive Leistung bei einer Schularbeit oder versteht plötzlich, warum man hier im Satz das Verb groß schreibt. Das sind Momente, die uns allen gut tun und von denen wir gar nicht genug bekommen können. Sie schweißen meine Klasse und mich so richtig zusammen. Junge Menschen zu begleiten und zu erleben, wie sie reifen und Fortschritte machen, sind schon beeindruckende Erlebnisse.
Doch ich kenne auch andere Situationen und Ereignisse aus mittlerweile 17 Jahren im Lehrberuf an verschiedenen Schulstandorten. Auch in meinen Klassen gab und gibt es immer wieder Probleme: Streitigkeiten, jemand hat die Hausübungen schon wieder nicht gemacht, die Unterschrift zum vierten Mal vergessen. Oder ich dränge im schlimmsten Fall auf ein Gespräch mit Eltern und Sozialarbeitern, um wichtige Dinge zu klären, weil das Kind behauptet, dass es Gewalt in der Familie erfährt, psychisch am Ende ist und vor mir in Tränen ausbricht und es so nicht mehr weitergehen kann, weil das Kind völlig verzweifelt ist. Das sind die Gespräche, die am unangenehmsten in meinem Beruf sind. Da muss ich besonders feinfühlig und vorsichtig, aber auch sehr klar sein. Ansonsten freue ich mich immer über Gespräche mit Erziehungsberechtigten, weil sie Möglichkeit für eine gute und wertschätzende Lehrer-Eltern Beziehung schaffen. Das ist Gott sei Dank die überwiegende Mehrheit an Gesprächen.
Mein Beruf fordert mich täglich heraus. Ich muss erklären, Verständnis haben, vermitteln, trösten, motivieren, telefonieren, beschützen, Grenzen einfordern und einen Lehrplan unterrichten. Und hin und wieder schimpf ich auch, bin ausgelaugt und ab und zu ein wenig frustriert. Manchmal komme ich an meine persönlichen Grenzen. Immer wieder werde ich als Lehrer mit Umständen und Auswirkungen konfrontiert, deren Ursache ich nicht wirklich (mit)bekämpfen kann. Dann fühle ich mich gefesselt. Zum Beispiel dort, wo es massive Probleme Zuhause gibt, bei Beziehungsproblemen oder sogar Trennung der Eltern. Das geht an Kindern nicht spurlos vorbei. Das zeigt sich im täglichen Schulalltag und kann sich dramatisch auswirken: Verweigerung, Verzweiflung, Beschimpfungen bis zu Aggressionen gegen Mitschüler(innen) oder sogar gegen sich selbst. Auch manchmal gegen mich als Lehrer.
Ich kann mich auch noch gut an eine Situation erinnern, bei der ich gemeinsam mit einem Schüler am Montagmorgen die Wohnung seiner Familie durchsuchen musste, um zwischen leeren Bierflaschen und anderen „Saufereien“ seine Schulsachen zu suchen. Das feuchtfröhliche Wochenende seiner Mutter mit ihrem neuen Freund hatte wieder einmal Spuren hinterlassen. Dem Burschen war das sehr unangenehm und peinlich und mir auch. Die Situation verschlimmerte sich immer mehr. Schließlich kam er von der Familie weg. Das war ganz schön heftig! Dieses Ereignis hat mich noch lange Zeit beschäftigt. Mittlerweile ist der Junge erwachsen und geht seinen Weg.
Wichtig ist dann für mich, dass ich diese Vorfälle nicht als „persönlich“ annehme, sondern gut abschalten kann bzw. wieder einen klaren Kopf bekomme. Das musste ich in meinen bisherigen Dienstjahren allerdings erst lernen. In der Ausbildung war das damals kaum der Rede wert. Ich halte es jedoch für enorm wichtig!
Abschalten gelingt mir beim Sport, beim Mountainbiken besonders gut. Da redet mich keiner an und ich kann negative Erlebnisse gut verarbeiten. Schließlich will ich diese intensiven Erlebnisse aus dem Schulalltag nicht in meine eigene Familie schleppen. Meine Frau und meine drei Kinder wollen auch einen halbwegs „ausgeglichenen“ Vater. Nicht immer schaffe ich das.
Schule ist eben keine heile Welt ist, weil auch unsere Gesellschaft keine heile Welt ist. Schule ist ein Spiegel unserer Gesellschaft. Und die hat auch mit vielen neuen Herausforderungen bzw. Überforderungen, Veränderungen im Höllentempo und teils massiven Problemen zu kämpfen.
Markus Weikl, Sonderpädagoge
Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift Ehe und Familien Bausteine Nr. 99. Sie können diese Zeitschrift kostenlos als pdf-Datei bekommen, wenn Sie sich beim Newsletter anmelden.
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